In seinen bildleeren, dunklen Traum drangen dumpfe Schritte und hastige Stimmen, die um ihn herum schwierten, aber er bekam sie nicht zu fassen, erfasste erst nicht was sie ihm sagen wollten und dann…
Dann war er wach.
Vim setzte sich auf, gähnte erst mal tief und rieb sich die Augen bevor er merkte was um ihn herum los war. Und er begriff, dass die Geräusche kein Teil seines Traumes gewesen waren, sondern die Realität die sich einen Weg in seinen Kopf gebahnt hatte.
In ihrer Schlafkabine standen zwei Wächter und sammelten und stopften gerade eilig die wenigen Habseligkeiten die Lux seit seiner Ankunft sein Eigen nennen konnte in einen großen schwarzen Plastiksack. Dieser füllte sich nicht einmal bis zur Hälfte.
“Was genau sucht Ihr da?” fragte Vim die beiden, nachdem er noch einmal den Mund zu einem weiteren Gähnen aufgerissen hatte, es musste noch früh sein.
“Darüber dürfen wir keine Auskunft geben.” war die einzige Antwort die sie ihm nach einer kurzen Pause zuwarfen.
“Und wieso das Ganze?” entgegnete er ihnen noch einmal, wobei ihn ein schlechtes Gefühl beschlich. “Ist mit Lux irgendetwas passiert? Also geht es ihm noch gut?”
Hier darauf bekam er nicht einmal mehr eine Antwort, sondern die beiden Wächter gingen weiter ihrer Aufgabe nach und schnürten den Sack zu. Aber Vim glaubte einen von ihnen etwas murmeln zu hören, was sich verdammt nach “Noch” angehört hatte.
Sonst schwiegen sie vor sich hin und verließen dann, auch wieder ohne ein Wort zu sagen oder sich wenigstens zu verabschieden das Zelt.
Vim beschloss später bei Red nachzufragen ob der ihm mehr dazu sagen konnte, was die beiden mitten in der Nacht in ihrem Zelt zu suchen hatten. Aber erst einmal war er noch zu müde und legte sich wieder ein bisschen hin, in Gedanken diesmal bei Lux.
Er hoffte das Beste.
Nachdem er dann später doch nicht mehr liegen bleiben wollte, stand er auf und zog sich um. Er trat in den Hauptraum ihres Zeltes in dem es immer noch ruhig war, da die anderen Bewohner noch schliefen, Mia und die etwas ältere Dame, die erst vor kurzem gekommen war. Alle anderen Neuankömmlinge, so auch Sam wurden in einem anderen Zelt untergebracht, da sich der Platz bot.
Und so stand Vim da, alleine in der Stille und beschloss seine Gedanken abzulenken, von dem Thema das sich scheinbar in seinem Kopf nur noch um Lux drehte, den Jungen, dem er zusammen mit Augi ehemals, auch wenn es nur die letzten paar Wochen waren, alle beigebracht hatte und auch tief in sein Herz geschlossen hatte. Wenn der Altersunterschied zwischen ihnen etwas größer wäre könnten sie Vater und Sohn sein.
Aber darüber wollte er im Moment nicht nachdenken und begann mit einem Spaziergang durch die langsam erwachende Zeltstadt. Er wanderte die kleine Gasse von ihnen hinunter bis zu der Reihe an der Wand und lief an dem Zelt vorbei, in dem ihr Leben hier unten begonnen hatte. Momentan stand es leer und machte den Eindruck als wartete es mit zurückgeschlagener Eingansplane wie ein Raubtier mit offenem Maul auf seine nächste Beute, das den Weg in seinen plastikbespannten Bauch finden würde. Er bog ab und scherte vor dem Durchbruch zum Gang auf den Hauptweg ein.
Ein paar Bewohner mit noch verschlafenen Gesichter trotteten ihm entgegen und machten sich auf ihren zu ihrer Arbeit. Er selber hatte noch ein paar Stunden, bevor er wieder mit gekrümmten Rücken über den Pilzkästen stehen durfte.
Seine Gedanken beschreiben gerade einen Bogen um die Pilze und hin zu Augi und den Göttern, einem mittlerweile fast schon ausgelutschten Thema als das Knacken der Lautsprecher ihn schlagartig zum Stehenbleiben zwang. Den Anderen auf dem Weg schien es genauso zu gehen und Vim war sich nicht einmal sicher ob er schon einmal irgendetwas über die Lautsprecher gehört, noch erfahren hatte, dass sie noch funktionierten.
Gespannt lauschte er als nach einem altmodischen Klingeln die Stimme von Red durch die unterirdische Stadt hallte.
Alle Bewohner denen es möglich sei, sollten in die große Halle kommen. Es gab etwas wichtiges mitzuteilen.
Und das hörte sich gar nicht gut an.
Und das war es auch nicht wie sich herausstellte als Vim, wie viele andere auch, die Halle über die Treppen betrat.
Fast genau in der Mitte der Halle war ein kleines Podium aufgestellt, das aus Paletten gezimmert und mit einer abgewetzten Pressspanplatte nach oben hin bedeckt wurde. Auf der rechten Seite gab es eine kleine Treppe, die auch wieder aus Palettenteilen zusammen gestückelt war, allerdings auch irgendwie durch ihre Farbgebung nicht zum Rest der Konstruktion passte, da das Holz sich dort schon komplett in eine fast schon schwarze Dreckschicht gehüllt hatte. Das Podium musste also neuer oder einfach nur besser erhalten sein.
Vim spürte sein Herz durch den ganzen Körper pulsieren, in einem tiefen Schlagen das dem einer großen Trommel glich und in ihren Taktstößen den kalten Schweiß auf seinen Rücken trieb. Irgendetwas stimmte hier nicht, oder konnte es zumindest nicht und er war auch nicht fähig zu begreifen und zu verstehen was los war. Denn dort oben auf dem Podium stande, flankiert von zwei Wächtern in dicken, schwarzen Lederjacken und Springerstiefeln, und einem versteinertem Gesichtsausdruck, Lux. Lux mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern. Die blonden Haare hingen ihm über das Gesicht und verdeckten alle Haut die man dort hätte erspähen können. Er war einem Ertrunkenen gleich, den man an den Schultern aus dem Wasser gezogen und ihm die Arme auf dem Rücken gefesselt hatte, wie um ihn daran aufzuhängen.
Er stand nur da und bewegte sich kein einziges Stückchen, sein Körper wirkte tot.
Auch Vim war stehen geblieben, gefesselt von dem Anblick, den sein Gehirn immer noch nicht erfassen konnte und die Menge die hinter ihm in die Halle drang stieß ihn beim Versuch ihm, dem Fels in der Brandung, auszuweichen immer wieder an seine Schultern und schob ihn, gegen seinen Willen, Stück für Stück immer weiter auf das Podest zu. Er reagierte auch nicht als Mia, ihrerseits auch kreidebleich, sich zu ihm gesellte und ihn dann aus dem Strom der Masse herauszog.
Es dauerte bis der Nachfluss an Bewohnern langsam abebbte und die Hektik in der Halle einer unheilvollen Ruhe wich, mit dem vibrierendem Grundtenor eines Bienenvolkes das über seinen Waben umher zitterte.
Spekulationen und Vermutungen brandeten auf Mia und Vim aus unterschiedlichen Richtungen zu und schlugen bei ihnen auf eine Mauer aus Ablehnung und Bestürzung.
Dann trat Red aus dem Schatten des kleinen Flurs der zu seinem spärlich eingerichteten Büro führte und die Menge teilte sich vor ihm, stand ihm Spalier für ihn als er auf die Palettenkonstruktion zu schritt und sie erklomm. Das unebene Summen der Menge verstummte und als sich eine wirklich bedrückende Stille über die Anwesenden legte begann Red zu sprechen.
“Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, auserwählte der Mächtigen die die Ehre haben in diesem Enklave der gefährlichen Welt zu trotzen. Auf ein langes Leben!”
Applaus brandete in der Masse auf und mancher Orts stießen Pfiffe hervor.
Red wieß besänftigend mit der Hand über die Menge und verstummte erneut. Er fuhr, diesmal mit monotone Stimme, die nicht mehr ganz so Energiegeladen war wie bei der Begrüßung fort.
“Wir sind heute hier zusammengerufen worden, denn es gibt eine schlechte Nachricht an uns alle. Und wir alle sind davon betroffen.” Den letzten Satz schrie er beinahe. “Wir werden ein Urteil der Götter erwarten müssen, wie wir handeln sollen und was uns bevorsteht.”
Ein Raunen lief über die Menschen.
Red drehte sich seitlich zu Lux um und richtete seinen ausgestreckten Arm auf ihn, bevor er abfällig weiter sprach. Tief in Vims Inneren wusste er schon, was für eine Nachricht es geben würde, was ihnen bevorstand. Hauptsächlich ihm bevorstand. Aber er wollte es nicht wissen.
Es nicht wahrhaben.
Auch nicht als Mia sich in seinem Arm fest krallte und einen Kreischen losließ. Als die Menge tief Luft einzog und in Getuschel verfiel. Als die Worte, die Red anschließend von sich gab, in sein Ohr drangen, aber in seinem Gehirn auf keine Reaktion stießen. Er war Gedanklich woanders und nicht bereit dafür.
“Dieser junge Herr,” sprach Red verachtend, “sollte uns von den Gefahren beschützen, die die Götter nicht von uns abhalten und er ist selber zur Gefahr geworden. Er war im Dienst als er hinterlistig seine Waffe zog und Josh, 164, einen unserer ehrwürdigsten Mitbürger, erschoss.”
Eine Pause.
“Er, und vielleicht auch wir, wird eine Strafe erfahren!”