Kapitel 20 – Caligo

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Die zusammengesackten Reste von Lux, aus denen auch das letzte Bisschen Leben gewichen war, wurde mit einem fleckigen Tuch bedeckt und dann von zwei Wachen weiter eingewickelt und in einem rostigen Schubkarren abtransportiert.

Wenn jeder Totentransport hier so aussah hoffte Vim das er noch lange nicht selber in diese Situation kommen würde. Allzu viel Respekt wurde hier aber anscheinend niemandem so richtig erwiesen außer den Göttern.

Auch für Vim gibt es noch einen anderen Abschied der ihm bevorsteht. Nachdem die Strafe vollzogen war und er wie im Schock immer noch auf der Bühne stand, entzog man seiner verkrampften Hand wieder die Waffe und die Halle begann sich wieder langsam zu leeren. Das spannende Ende eines aufmüpfigen Lebens war aufgesaugt worden und nun kehrte man in sein eigenes Leben zurück.

Red kam zu ihm, während Vim immer noch auf Luxs Körper starrte, der vor seinem inneren Auge für ihn immer noch auf dem unebenen Holz im Dreck lag.

Red zog ihn ein wenig weg, runter von dem knarrenden Holzgestell und in den Schatten zwischen ein paar Säulen. Er nahm Vims Hand.

“Wie geht es dir?” fragte er und sah ihm dabei direkt ins Gesicht.

Erst wusste Vim nicht was er sagen sollte, doch rang er sich dann zu einer Antwort durch.

“Wie soll es mir schon gehen? Ich musste jemanden ermorden.” Vim zog geräuschvoll die Nase hoch die ihm lief seit die Tränen ihren Weg in seine Augen gefunden hatten. “Wie soll ich mich den da danach fühlen? Etwa glücklich?” Seine Stimme war lauter geworden und die Wut die sich in ihm aufgebauschte schwappte mit diesen Worten aus ihm heraus.

“Mir ist schon klar das es dir jetzt nicht so gut geht, vor allem weil ihr euch doch etwas näher ward als alle anderen.” Red drückte Vims Hände etwas fester. “Aber es musste getan werden. Und du kannst mir glauben ich bin sicher kein solches Monster dass sich an solchen Geschichten mit aufgeilt.” Kleine Pause. “Ich fühle mich dabei auch nicht wohl, aber die Götter wollen es nun mal so.”

“Ach Scheiß auf die Götter.” Vim merkte selber wie er beim mehr schreien als sprechen ein wenig spukte. “Als ob die sich wirklich für uns interessieren, für unser Wohl. Auf ein langes Leben. Das kann mich mal. Für die sind wir doch nur ein Spielzeug und wenn wir nicht spielen wollen verlieren sie das Interesse an uns und sie entsorgen uns.”

“Komm mal wieder ein Bisschen runter.” Die Hände von Red wanderten an Vims Schultern und schüttelten ihn leicht. “Du hast ja keine Ahnung davon was du da gerade behauptest.”

“Ach ja? Und warum nicht?”

“Weil du selber behauptet hast, dass die Götter nicht mit dir gesprochen haben. Wie willst du sie denn einschätzen können wenn du sie nicht kennst?”

“Also kann ich mich doch auch gleich mit hinrichten lassen, oder?” Vim wischte sich eine Träne weg die sich in einer salzigen Spur einen Weg über seine Wange bahnte. “Wenn ich auch zu nichts zu gebrauchen bin und den Göttern nicht so gefügig bin wie sie gerne hätten.”

“Nein.”

“Was nein? Ist das alles was du zu mir zu sagen hast?”

“Nein dazu, das wir dich auch hinrichten werden. Ja, du bist etwas in Ungnade gefallen, aber das ist jetzt wieder rein gewaschen, das kannst du mir glauben. Also mach dir deswegen keinen Stress. Das Leben hier geht weiter.

Aber ich würde dir erstmal eine kleine Pause vom Dienst in der Wache empfehlen.”

Red machte eine kleine Pause und erwartete fast das Vim seiner Meinung kund tun würde, aber er schwieg.

“Ich habe deshalb schon mit Tori geredet, kurz bevor die Durchsage eh alle versammelt hat. Du bekommst deine alte Stelle auf den Feldern mit all deinen Privilegien wieder und wenn es dich dann wieder davon weg zieht kannst du wieder in die Wache kommen. Hört sich das für dich nach einem Plan an?”

Vim brachte ein Nicken zustande. Tief in sich war er aber auch froh über das angebot. Er wusste nicht wie er jetzt schon wieder unter die anderen Leute treten sollte, da war es so um einiges besser und er konnte sich wenn es doch zu viel wurde im Dunkeln des Tunnels verstecken.

“Sehr gut. Ab morgen beginnt wieder deine normale Schicht.” Dann war Vim wieder alleine.

 

Die Rückführung Vims passte allerdings nicht allen. Tori und einige der Arbeiter, unter anderem Sam, freuten sich ihn wieder zwischen den Boxen huschen zu sehen doch einige fanden es unnötig.

Oder wie im Fall von Augi, der dadurch wieder zu einem normalen Feldarbeiter zurück degradiert wurde, mehr als unberechtigt und unfair. Denn wieso sollte man seinen Platz räumen nur weil jemand von einer Stelle zurückkam wo er unbedingt hinwollte, damals weg von den Feldern, auf die er keine Lust mehr hatte. Und nun war er wieder da in genau derselben hohen Position wie zuvor, mit all ihren Pflichten und Vorzügen, so als hätte er ihnen nie den Rücken gekehrt. Und Augi musste sich nun wieder von Vim herumkommandieren lassen und das passte ihm garnicht.

Augi versuchte es erst, das er bei den Schweinen und den anderen Feldern seine Zeit verbrachte aber da er damals für die Pilze eingestellt wurde schickte ihn Tori schon am dritten Tag wieder zu Vim zurück, mit den Worten er solle sich doch nicht so haben und sie seien doch Freunde, was den nun das Problem sei. Augi sagte nichts. Ihm fehlten einfach die Worte bei seiner Meinung nach so viel Unverständnis in nur einem Satz.

Und so trafen sie in ihrer Schicht wieder aufeinander, zumindest physisch. Die Begegnungen beschränkten sich aufs ausversehen über den Weg laufen und sich dabei dann so weit wie möglich zu ignorieren. Nicht mal ein Blickkontakt war möglich.

 

Vim schlief in dieser Zeit nur sehr schlecht. Nicht nur sah er immer und immer wieder die Ereignisse in der großen Halle vor seinen Augen auf und ab flimmern, die letzten Augenblicke in denen noch Leben in Lux weilte, sondern auch die Sache mit Augi beschäftigte seine grauen Zellen und verhinderte das er einschlief. In seinem Inneren konnte er verstehen warum er wieder auf diesen Platz auf den Feldern zurückgerutscht war. Zum Anderen konnte er aber auch sehr gut nachvollziehen wie Augi sich nun fühlen musste. Er hatte mehr Erfahrung und kannte viel mehr Leute die dort arbeiteten, aber Vim musste sich auch eingestehen dass er geeigneter war, da er selbst nur auf den Feldern zwischen den Pilzboxen anwesend war und sich nicht alle paar Tage wieder zu irgendwelchen anderen Stationen verdrückte, weil er es sonst nicht mehr aushielt und nicht mehr so effektiv arbeiten konnte weil seine Motivation nachließ.

Doch Vim wollte, und musste es schaffen, wieder einigermaßen Frieden zwischen sie zu bringen. Er konnte die Sache nun nicht einfach so auf sich beruhen lassen und eine weitere Freundschaft die er sich seit seiner Ankunft aufgebaut hatte sterben lassen wie es mit Lux im wahrsten Sinne des Wortes passiert war, auch wenn es eine ganz andere Situation gewesen war die dazu führte.

Er beschloss Augi in der nächsten gemeinsamen Schicht zu einer Aussprache zu bitten. Er würde ihn in einer Pause abfangen und die Argumente ausbreiten wie ein Verkäufer auf einem Marktstand seine Waren feilbot.

Dann nickte er weg und traf im Traum immer und immer wieder auf Augi. Nur das es im Traum auch alles so verlief wie er es sich erhoffte.

 

Im echten Leben konnte man allerdings nicht davon ausgehen und so traf es auch nicht ein.

Der Teil seines Plans mit dem abfangen in der Pause und das erste Ansprechen liefen schon einmal gut, doch dann wollte Augi ihm nicht zuhören, schlug ihm sogar die Hand weg, die Vim nach seiner Schulter ausstreckte um ihn ein Wenig unter kontrolle zu bringen.

“Fass mich nicht an!” biss Augi in seine Richtung, “Und behalte deine dreckigen Griffel bei dir.” Fast hörte Vim schon ein Gebiss zuschlagen.

“Ich möchte nur kurz mit dir reden. Wegen uns.” begann Vim und legte sich seine Argumente im Kopf schon in der Reihenfolge zurecht die in seinem Traum am besten funktioniert und alles ins Lot gebracht hatte. Er setzte zum demütigen Teil an, in dem er Augi Verständnis zusprechen würde bevor er seinen Standpunkt äußern würde, konnte aber nicht ein einziges Wort sagen da er schon wieder von Augi unterbrochen wurde.

“Da gibt es nichts zu bereden.” fauchte Augi und Vim wich augenblicklich einen Schritt vor ihm zurück.

“Und wieso nicht?” biss Vim zurück, langsam fing eine dunkle Wut in ihm zu brodeln an.

“Du weißt ganz genau wieso nicht. Schließlich ist das alles auch deinen Mist gewachsen.” erwiederte Augi, der nun auch die Lautstärke in seiner Stimme langsam anhob.”Und nun lass mich einfach meine Pause von deiner elenden Tyrannei genießen. Ich hab mir so etwas nämlich verdient.”

Er versuchte sich rechts an Vim vorbei zu drücken, doch dieser trat einen Schritt nach. So wollte er Augi dann doch nicht davonkommen lassen.

“Bleib erstmal da!” Vim spürte wie die Wut weiter in ihm hoch kochte und als er nun wieder nach der Schulter von Augi griff, sie diesmal auch zu fassen bekam. Allerdings merkte er auch das er, getrieben von einem fast schon leichtem Zorn, fester zu packte als er es eigentlich wollte und sah wie Augi unter dem Druck an seiner Schulter ein Stückchen nach unten weg zuckte. Augi verzog leicht das Gesicht, der Druck musste so hoch gewesen sein das es kurz weh tat, aber dieser Ausdruck wich schnell einem Gesichtsausdruck mit zerfurchten nach unten gezogenen Augenbrauen und vor Wut blitzenden Augen.

“ Willst du mich jetzt gerade eigentlich verarschen?” Augi bellte so laut, dass sich auch noch am anderen Ende der Station die Leute nach ihnen umdrehten. “ Kannst du nicht einfach das akzeptieren was ich dir gerade gesagt habe? Wie klein muss dein Hirn sein das du nicht einmal selber denken kannst und jemandem einfach mal seine scheiß Ruhe lässt, wenn er sie gerne hätte. Und jetzt verpiss dich und lass mir etwas Abstand.”

Vim war zu perplex etwas zu sagen, spürte aber wie ihm die Röte ins Gesicht stieg, alle in der Station mussten den Streit mitbekommen und er kam sich vor wie ein Idiot. Wieso konnte er Augi nicht einfach während der Arbeit in Ruhe lassen und ihn mal unter vier Augen auf die Seite nehmen, wenn nicht so viele Personen in der Nähe waren.

Augi nahm mit seiner rechten Hand den Arm von Vim von seiner Schulter und schleuderte ihn auf die Seite, das es, als er nicht mehr weiter schwingen konnte einen Stich im Ellenbogen gab der von einem leisen Knack Geräusch begleitet war.

Augi versuchte es erneut an Vim vorbei zu kommen und wieder trat dieser ihm in den Weg nach. Augi stieß mehr als nur genervt Luft aus.

“Können wir da nicht wenigstens einmal darüber reden wie normale Erwachsene?” versuchte es Vim noch einmal zu ihm durch zu dringen, dabei hoffte er dass er die Ruhe die er gerne gehabt hätte in seine Stimme legen konnte, auch wenn sich seine Hände nun zu kleinen, pochenden Fäusten verkrampft hatten.

“Halt einfach deine Schnauze!” Einzige Antwort.

Aber sie reichte aus um das Fass voll Wut zum Überlaufen zu bringen und so sah Vim nur noch Rot als seine verkrampfte Rechte auf Augi zu flog und ihn hart an der linken Schläfe traf.

Er taumelte kurz, holte dann aber seinerseits mit dem Arm aus und traf Vim auf die linke Schulter. Vim biss die Zähne zusammen, bis es weh tat während sich ein kribbelndes Taubheitsgefühl über seinen linken Arm erstreckte.

“Du Wichser.” zischte Augi und wollte auch noch mit der Linken zuschlagen doch eine fremde Hand hielt diese zurück.

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