Kapitel 3 – Caligo

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Ganze fünf Minuten gingen sie den Gang entlang. Nur ließ sich nicht einschätzen wie lang der Gang war, da er in einer leichten Linkskurve angelegt war. Am Ende des Ganges durchquerten sie eine weitere kleine Halle, in deren linker Wand zwei, zweiflügelige Metalltüren zusehen waren, die von Rost geplagt zwischen den Mauersäulen in die Wände eingelassen waren.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Ganges, aus dem sie hervorgetreten waren, befand sich eine, mit einem Laken abgehängte Öffnung, welche laut 248 in einen weiteren, identischen Gang führte, an dessen Ende sich die Farmen für die Versorgung in einem verlassenen U-Bahn Schacht aufreihen würden. In diesem Gang befanden sich auch noch Militärische und organisatorische Räume, sowie Lager für alle möglichen Sachen.

Zu ihrer Rechten, befanden sich an der Stelle der Metalltüren zwei Treppenhäuser , wobei sie das erklommen das nach oben führte.

Die Treppenstufen waren rissig, und aus einer Art Kunststein geformt. Nach gut 15 Stufen machte die Treppe eine hundertachzig-Grad Kurve und führte weiter nach oben.

347 ließ seine Hand langsam auf das unförmige Rohr sinken, das als Geländer diente.

Zog sie aber sofort wieder zurück als die Kälte auf seinen Arm übersprang.

Oben angekommen, steigen sie aus der Aussparung für die Treppe, welche mitten in der verzierten Halle von einer Brüstung umgeben war. Sie öffnete sich genau in die Richtung, dass der Blick auf die mit Sperrholzplatten vernagelten Aufzugtüren fiel, hinter denen sich die Schächte der „Kammern“ befanden.

Die Halle, die sie nun schnell durchquerten um 248 in einen Seitengang zu folgen,war früher mal die Eingangshalle der U-Bahnstation gewesen, wie er ihnen erklärte. Die Wände waren mit gräulichem Marmor verkleidet. Säulen stützen das Trägergestell, welches, ähnlich wie bei einer Kathedrale, die Decke der Seitenschiffe trug. Fenster suchte man aber vergeblich, da auch diese Halle vollständig unter der Erdoberfläche lag. Am Kopfende der Halle führte ein breiterer Aufgang zu einer kleinen freien Fläche, bevor er vor einem großen Torbogen endete.

Unter dem Torbogen begann eine breite Treppe sich in ein höheres Stockwerk zu erstrecken.

Die Stufen des Aufgangs waren von Rolltreppen flankiert, die so aussahen als hätten sie schon seit Jahrzehnten niemanden mehr transportiert.

Der Seitengang den sie nun betraten, sah den Gängen ein Stockwerk tiefer zum Verwechseln ähnlich, nur das die Wände hier auch mit Billig-Marmor-Platten verkleidet waren. Sie schritten an einigen Türen vorbei, neben denen man noch Schilder erkennen konnte, die ein mal angezeigt hatten, was sich in dem Raum befand. Doch für solch bürokratische Ordnung war wohl keine Zeit mehr und man war dazu übergegangen, einfach eine Nummer oder Raumbezeichnung in Augenhöhe auf die Türen zu schreiben.

Vor der vierten Türe rechter Hand blieben sie stehen und 248 klopfte mit dem Handrücken dagegen. Das einzige was auf der Tür stand war „109 Red“.

Von der anderen Seite der Tür drang gedämpft eine Stimme durch die Tür: „Herein.“

248 drückte die Tür auf und durchschritt den Rahmen. Sie folgten ihm.

Hinter der Tür erwartete sie was schon so etwas wie ein richtiges Büro. Ungefähr mittig stand ein mit Press-Spann-Platten verstärkter Tisch, der als Schreibtisch diente. Die Wände waren mit Schränken oder Kartons zugestellt. Nur das Waschbecken und das Feldbett im hinterem Teil des Zimmers störten den Eindruck.

Hinter dem Tisch saß ein saß ein hochgewachsener Mann mit im Militärschnitt geschorenen schwarzen Haaren. Sein breiter, muskulöser Oberkörper lag frei, doch er hatte einen beige farbenen Stoffstreifen wie einen Schal über seine Schultern gelegt. Als er aufstand und ihnen entgegen trat, glitt 347’s Blick an Red herunter. Er trug schwarze, abgenutzte Militärstiefel, deren oberes Ende jedoch von einer alten rötlich, schmutzigen Feuerwehrhose verdeckt wurde.

Er reichte ihnen die Hand, stellte sich kurz vor und vollführte sofort wieder eine Kehrtwende und machte sich auf den Weg hinter den Tisch zurück. Auf seinem Rücken zog sich eine lange Narbe wie ein Kratzer von seiner linken Schulter quer über seine Wirbelsäule und verschwand auf der rechten Seite unter seinem Hosenbund.

346 hatte sie auch bemerkt. “Darf ich Sie mal was fragen?” schoss sie hervor. Red blieb stehen, wandte sich aber nicht mehr zu ihnen um.”Ich kann mir, glaube ich schon denken was Sie Fragen wollen, 346” Er drehte seinen Kopf leicht zur Seite, so das man ihn im Profil sehen konnte. “Es geht um meinen Rücken, oder?”

346 sah beschämt zu Boden. Die Röte stieg ihr ins Gesicht.

“Sie sind nicht die Erste Person, die mich danach fragen will, was mit meinem Rücken passiert ist.” Er setzt seinen Weg in Richtung Tisch fort. “Doch ich würde es selber gerne wissen. Das Teil ziert meinen Rücken anscheinend schon eine Ewigkeit. Als ich von den Göttern durch den Schacht geschickt wurde, hatte ich es auch schon.”

Er hatte den Tisch erreicht und ließ sich auf einen klapprigen, beigen Campingstuhl  fallen, den er geräuschvoll unter dem Schreibtisch hervorgezogen hatte.

“Bitte, setzt euch.” Mit seiner linken Hand wies er auf ein paar metallene Armeeboxen.
347 sah zu dem Mann, der sie hergebracht hatte, doch der lehnte nur an der Mauer direkt neben der Türe durch die sie den Raum betreten hatten. Ihre Blicke trafen sich und 248 nickte ihm zu.

Als er sich zurück drehte hatte 346, eine kleinere Box schon näher an den Tisch gezogen und sich darauf niedergelassen. Er schnappte sich auch eine Kiste, hievte sie hoch und ließ sie zwei Meter weiter wieder mit einem lauten Krachen auf den Boden fallen, direkt neben 346, die erschrocken zusammen zuckte. Er überstieg die Kiste und setzte sich ebenfalls.

“Sie erwähnten Götter, die Sie hergebracht haben. Das ist die Religion hier, oder?”

Es dauerte eine Weile, bis sich jemand traute, die Stille zu durchbrechen. Doch zu seiner Verwunderung war es nicht Red der sprach.

“Du hast Sie doch sicher auch gehört,” wisperte 346 “als ich in dem Schacht war, sprachen sie zu mir.”

“Ja, das sollte eigentlich so gewesen sein.” Red legte seine Stirn in Falten, indem er seine Brauen erstaunt nach oben zog. “So geht es eigentlich allen. Jeder weiß über unsere Vergangenheit hier im Livestock und den Grund warum wir hier sind bescheid. Dir das ganz genau zu erklären wird schwierig.”

“Dann versuch es. Wenn ich etwas nicht verstehe, kann ich ja theoretisch jeden hier unten fragen.” konterte 347. Er rutschte auf seiner Kiste weiter an die Kante.

Red lehnte sich in seinem Campingstuhl nach vorne, und legte seine Hand gefaltet vor sich auf die unebene, raue Fläche seines Tisches.

“Ganz so leicht ist es leider garnicht.” begann er. “Die Götter bestimmen schon vor der Ankunft wer was wissen darf und wer welche Arbeit zugeteilt bekommt. Einige kommen sogar an und wissen sofort wer ich bin, so als hätten sie ein genaues Bild vor Augen gehabt, während sie durch die Kammer hierher geführt werden.”

“Warum eigentlich genau hierher? Es gibt doch sicher bessere Orte an die die Götter uns schicken könnten, wenn sie schon über solche Kräfte verfügen.”

“Ich versuche dir gerade, das zu erklären, wobei ich auch nur so viel weiß, wie sie mir zuteil werden ließen.” fuhr Red leicht genervt fort.

“Die obere Welt wurde vor vielen Jahren zerstört. Dort oben gibt es nur noch Ruinen und Stahlträger Skelette die sich gegen den Himmel richten. Ein Leben dort oben ist zwar theoretisch möglich, aber sobald es dunkel wird, willst du dich nicht mehr dort oben aufhalten. Glaube mir das. Wenn wir Zeit dafür haben, versorgen wir uns von Oben tagsüber auch mit Nahrungsmitteln und anderen alten Gebrauchsgegenständen. Doch das kommte eher weniger vor, da wir Aufgaben für die Götter zu erfüllen haben.”

Red atmete tief ein und machte eine längere Sprechpause, während man hinter ihnen hörte, wie sich auch 248 auf einer Kiste neben der Türe nieder lies.

“Bevor du mich jetzt eh gleich wieder unterbrichst wegen den Aufgaben, die kannst du dir ungefähr so vorstellen wie ein Tauschhandel. Wir dürfen hier in Sicherheit leben, aber nur wenn wir uns an die Regeln und Anweisungen der Götter halten. Sollten wir es einmal nicht schaffen, so fordern Sie wertvolle Opfer von uns.” Er sah 347 tief in die Augen.

“Deswegen ist die Erfüllung dieser Aufgaben unser wichtigstes Anliegen. Wenn Neue durch die Kammer hier ankommen, so wissen Sie oft schon, für was sie eingesetzt werden.”

Er wandte sich an 346, die fast schon erstarrt dem gelauscht hatte, was er erzählt hatte. Die einzigen Bewegungen die zeigten, dass sie keine Statue war, war das leichte Heben und Senken ihrer Brust und ein verständnisvolles Nicken als Red von den Aufgaben sprach.

“Darf ich dich bitten, uns mitzuteilen, was die Götter für dich vorgesehen haben?” fragte Red sie und neigte sich noch weiter über den Tisch.

Sie warf einen zögernden Blick zu 347, bevor sie antwortete:

“Also,…”

Sie schien zu überlegen.

“Sie sagten etwas von Pilzen und Schweinen, … glaube ich … ”

“Das hört sich doch gut an.” antwortete Red. Er lehnte sich wieder zurück in seinen Stuhl, wobei dieser ein hohes Quietschen von sich gab.

“Hört sich an, als seien damit unsere Farmen im hinteren Teil des grünen Tunnels gemeint.”

Er ließ seine Augen zu 347 wandern, jedoch ohne dabei den Kopf von 346 abzuwenden.

“Dann stecken wir dich da einfach mit dazu,” ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit.

“Ihr seid mit derselben Ladung gekommen, und die im grünen Tunnel können jede Hilfe gebrauchen.”

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