Kapitel 5 – Caligo

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346 entschied sich für “Mia”, sie empfand den Namen für sich als sehr passend. Er würde Weiblichkeit ausdrücken und gleichzeitig noch sehr schön klingen.

Bei 347 sah das Ganze anders aus.

Er hatte sich zwar Gedanken gemacht während sie herumgeführt wurden, aber ihm war kein richtiger Name eingefallen, von dem er behaupten konnte, das er ihm gefiel und das er ihn gerne tragen möchte. Warum nur konnte er sich nicht an den Namen erinnern, den er von seinen Eltern bei der Geburt überreicht bekommen hatte. Der hatte ihm sicher gefallen. Und wenn nicht, so war er zumindest daran gewöhnt damit zu leben.

Er sah sich fieberhaft im Raum um und überlegte. Im schossen eine ganze Vielzahl von Namen durch den Kopf – Lukas, Steve, Simon, Mike, Marc – aber keine fühlte sich wie der richtige an.

Sein Blick blieb an den Türen der Kammern hängen. Oben in der rechten Ecke der Türe war ein kleines Messingschild angebracht, das den Namen einer längst vom Antlitz der Erde verschwundenen Firma beherbergte. “VIMAC”.

Er spielte mit dem Namen in seinem Kopf. Schoss ihn durch die Nervenbahnen, zerlegte ihn, setzte ihn wieder zusammen und hatte ihn letztendlich gefunden.
“Ich nenne mich Vim.”

 

Am nächsten Morgen verließen sie zusammen schon recht früh ihr Zelt, das ihnen zugewiesen wurde.

Bei dem Zelt handelte es sich um ein geräumiges, vermutlich mal blaues Ungetüm mit einem Vorraum und zwei getrennten Schlafräumen, in denen 3 Personen ohne Probleme nebeneinander passten.

Hauptsächlich wurde das Zelt für Neuankömmlinge genutzt, bis diese wussten wo sie sich selber niederlassen konnten oder zu jemand anderem dazu zogen, aber außer ihnen war sonst niemand in dem Zelt einquartiert.

Die Außenseite des Zeltes war mit einer zusätzlichen schwarzen Plane bedeckt, wie die meisten Zelte oder Unterschlüpfe in der großen Zeltstadt die die rote Station säumte und bis in die Gleisbetten hineingewachsen war. Das Ganze dient dazu, die Geräuschkulisse aus den Zelten und in die Zelte hinein zu dämpfen, immerhin wollte man, auch nach dem Ende der Welt noch ein kleines bisschen Privatsphäre.

Neben dem Eingang zu ihrem Vorraum war mit einer roten Sprühfarbe eine “94” aufgebracht, vergleichbar mit einer Hausnummer.

 

Nachdem sie den Weg bis zu den Feldern gemeinsam hinter sich gebracht hatten stellten sie sich in dem kleinen Holzverschlag noch einmal ausführlich bei Tori vor. Also sie versuchten es so gut es ging, hielt sich aber recht kurz da sie nur ihre Nummer und ihren neuen Namen wirklich nennen konnten. Der Rest ihres Lebens und alles was sich vor ihrer Ankunft ereignet hatte fehlte immer noch in ihrem Gedächtnis.

“Das wird sich aber auch nicht ändern.” sagte Tori. “ Ich zumindest weiß von niemandem das er sich an davor erinnert und die Götter werden sich schon etwas dabei gedacht haben, das sie uns unsere schlechte Vergangenheit nehmen, wenn wir hier eine neue gute Zivilisation aufbauen sollen.”

Sie stimmten ihr schweigend zu.

“Dann wollen wir doch mal sehen, wo ihr euch nützlich machen könnt, oder?” Tori verließ den Verschlag in Richtung der Felder und sie stapften einfach hinter ihr her.

Der erste Weg führte die kleine Gruppe, die etwas festere Figur von Tori voraus, schnurstracks zu den Gehegen mit den Schweinen, wo Mia an die dort herrschende Leitung übergeben wurde. Sie verabschiedete sich mit einem “Bis später.” und einer kleinen Umarmung von Vim, der diese Geste zwar ein bisschen zu übertrieben fand, aber persönlich nicht wirklich viel dagegen hatte.

Dann wurde er auch schon von Tori, die ihn am Ärmel gegriffen hatte, weiter geschleift, den genau umgekehrten Weg als am Tag zuvor, in Richtung der Beete aus denen in der düsteren Ecke, in der sie sich befanden, kleine weiß braune Knollen sprossen.

“Hier darfst du all deinen Arbeitsdrang auslassen.” witzelte Tori zu ihm herüber und ihre füllige Oberweite hüpfte bei dem darauffolgenden Lachen bedrohlich auf und ab.

“Hey, Clay!” rief sie einem älteren Herren zu ihnen her.

Der Mann trottete langsam zwischend den Beeten auf sie zu, seine Haut hatte die Farbe von altem Papier.

“Darf ich ihnen Vim vorstellen?” begann Tori als sich Clay zu ihnen gesellt hatte. “Er kam gestern mit der Kammer und wurde zu uns als ein neuer Helfer geschickt. Ich dachte sie könnten am ehesten Zuwachs gebrauchen, nachdem letztes Mal wieder so viele bei ihnen weggefallen sind.”

Clay nickte. Dann drehte er sich Vim zu und reichte ihm eine Hand, auf der die dünne Haut hohe Falten warf.

“Sehr erfreut Vim” brachte er hervor. “Ich bin Clay, Nummer 47, also schon etwas länger hier unten.” Er hustete, fand aber wieder zu normalem Atem zurück. “Und seit dem schon immer für die Pilze zuständig.”

“Dann lass ich euch mal alleine.” flötete Tori und schwänzelte in Richtung der Station zurück.

Vim der die ganze Prozedur mitgemacht hatte ohne ein Wort zu sagen sah Clay fragend an.

“Dann wollen wir mal” antwortete der, drehte sich um und trottete wieder zwischen den Feldern hindurch. Vim blieb ratlos stehen, aber Clay rief ihm über die Schulter zu.

“Du darfst gerne mitkommen. Das Einzige was hier Wurzeln schlagen darf sind Pilze.”

Er lachte heiser auf.

 

Nachdem Vim eine kurze Einführung in seinen nun täglich anstehenden Tätigkeiten erhalten hatte, er ließ sie wieder schweigend über sich ergehen, zu fragen wusste er ja eh nichts, gab es noch eine kleine Vorstellungsrunde mit seinen nun neuen Kollegen. Als richtig gesprächig stellte sich auch hier niemand wirklich heraus, außer ein junger kahlköpfiger Mann mit einer Hornbrille auf der Nase.

Dieser wurde ihm als Augi, 293, vorgestellt und würde sein Arbeitspartner für heute auf den Felderboxen 16 und 17 sein. Zusammen machten sie sich auf den Weg dorthin und begannen damit die reifen Pilze, die eine gewisse Färbung oder Größe hatten zu ernten, und in kleine Kiste, in den unterschiedlichsten Farben und Größen zu legen.

Anfangs bestimmt nur das Gluckern des Dieselmotors vom Aggregat in der Ecke, das Strom für die Luftversorgung des Gleises produziert, die Geräuschkulisse, ab und zu von ein paar leise gesprochenen Sätzen an den anderen Feldboxen oder einem Aufhusten gestört. Augi rückte von der Seite der Box, auf der er erntete weiter auf Vim zu, der ihm langsam von der anderen Ecke entgegen arbeitete.

Als sie nahe genug beieinander waren um in einer normalen Lautstärke miteinander sprechen zu können fing Augi an.

“Du bist also erst gestern hergekommen?”, er sah Vim fragend an.

“Ja.” antwortete Vim, nach einer etwas längeren unangenehmen Pause.

“Und?” fragte Augi sofort weiter. “Was haben dir die Götter alles mit auf den Weg gegeben?”

Wieder eine Pause.

“Nichts?” erwiderte Vim unsicher, während er die Augenbrauen hochzog. Er fragte sich was alle mit den Göttern hatten. Für ihn hatten sie ja anscheinend nichts übrig, wenn sie ihn so sitzen ließen, aber dieses Thema wollte er nicht mehr ansprechen, vielleicht fand er ja mal etwas mehr dazu raus, aber erst einmal schwieg er.

Auch als Augi wie selbstverständlich nachhakte was er mit nichts genau meinte blieb er stumm, was nur dazu führte, dass sie wieder wortlos nebeneinander her arbeiteten, bis sich ihre Arme fast berührten.

“Entschuldigung wegen vorher,” begann er, “also wenn das zu aufdringlich war, oder so. So sollte das nicht rüber kommen.”

“Passt schon” meinte Vim, fast schon beiläufig. Er wollte einfach nicht das es wieder so anfing.

“Ich… ich weiß bei so etwas einfach nicht, wie ich solche Gespräche anfangen soll. Es ist sonst nur so langweilig.”

Vim brachte ein “Mhm” hervor ohne die Lippen wirklich zu öffnen.

“Also kannst du es verstehen. Und vielleicht fang ich erstmal bei mir selber ein bisschen besser an. Dann hast du noch Zeit aufzutauen.”

Augis Stimmung schwang während er redete relativ schnell um von Niedergeschlagenheit zu einer übertriebenen Motivation.

“Stimmts?” er lachte auf, während der Vim leicht auf gegen die Schulter boxte. Der nickte bloß.

“ Also, wo fang ich an…” Augi legte den Kopf leicht schief und dachte nach, so das eine Pause zwischen ihnen im Raum stand.

“ Ich bin Augi … und meine Nummer ist die 293, aber das weißt du ja schon von der Runde vorher.”

“ Ja.”

“ Seit ich hier im Livestock bin arbeite ich hier bei den Feldern, so wie es mit die Götter gesagt haben. Allerdings schaff ich es nicht das ich immer nur bei einer Abteilung bin.” Er dachte nach, wie er den nächsten Satz formulieren sollte.

“ Ich glaub das mit mir irgendwas nicht stimmt. Ich kann einfach nicht meine Konzentration im Zaum halten. Ich fang bei den Pilzen an, bin voll dabei und nach zwei bis drei Tagen ist also irgendwie die Luft raus. Dann kann ich einfach nicht mehr. Langsam wie Sau und lenk mich die ganze Zeit ab.”

Augi redete in einem Schwall fort.

” Dann wechsle ich zum Gemüse oder zu den Schweinen, manchmal auch was organisatorisches, und dann kommt die Motivation für das was ich tue zurück. Dann bin ich wieder frisch und mit vollgas dabei, aber doch auch nur kurz und dann die nächsten Tage wieder weiter zur nächsten Station. Immer wieder. Aber irgendwie ist das trotzdem komisch, find ich, stimmts?”

Vim nickte und ließ den Wasserfall an Wörtern einfach über sich hineinstürzen.
“ Aber hier halt ich es immer am längsten aus. Ist vlt das Lichtverhältnis hier, so leicht dämmrich. Oder die feuchte Luft. Genau kann ich es aber nicht sagen.”

Seine Stimme war schlagartig langsamer aber deutlicher. “Da hast du aber einen ganz großen stehen lassen.

Vims Blick folgte seinem Finger. Tatsächlich.

Während er nach dem Pilz griff, begann der Wortfluss von Neuem und erzählte etwas mehr über die Einzelheiten der Feldarbeit und den Schichtablauf.

 

Als Vim und Mia am Ende der Schicht zurück in ihr Zelt Nummer “94” zurückgekehrt waren, steckte ihnen doch schon einiges an Erschöpfung in den Knochen und sie unterhielten sich noch kurz über ihre Arbeit und wenn und was sie alles kennengelernt hatten.

Auch Mia war auf jemand Gesprächigen getroffen, eine junge Dame namens Jul, die sie unter ihre Fittiche genommen hatte.

Dann trennten sie sich in die einzelnen Schlafbereiche und ließen den Schlaf auf sie herabfallen.

Kurz bevor Vim von ihm erfasst wurde, waren seine Gedanken noch einmal bei Augi.
Irgendwie kam ihm diese Art bekannt vor, zumindest hatte sie einen familiären Touch fand Vim.

Und auch wenn er nicht viel zu ihm gesagt hatte, vermutete er das sie Freunde werden könnten. Sollte Augi morgen nochmal bei den Pilzen sein würde er sich auf jedes Gespräch einlassen.

Irgendwie waren sie nun erst  richtig im Livestock angekommen.

Simons Blick war starr auf den Bildschirm gerichtet. Die beiden hatten begonnen auf den Feldern des Livestocks zu arbeiten, ohne zu wissen, das sie beobachtet wurden.

Er überlegt fieberhaft was er nun tun soll.

Er wird es aber wohl nie schaffen, denn es scheint unmöglich.

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