Kapitel 7 – Caligo

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Vim hatte es geschafft sein Versprechen gegenüber Augi eingehalten und hatte seit dem er ihn das mit den “Zurückgeforderten” erzählt hatte auch nichts mehr von den Göttern vor ihm erwähnt. Seine Gedanken kreisten darum, vor allem wenn er es sich am Abend alleine in seinem Teil des Zeltes bequem machte, aber da konnte er nicht wirklich etwas dagegen tun. Und er erwartete fast schon das bald eine Kammer für ihn kommen würde und ihn zurück ins Nichts jenseits der Götter rufen würde.

 

Auch Mia hatte sich mit ihrer Kollegin bei den Schweinen relativ gut angefreundet, es machte sogar den Eindruck als teile sie jedes Geheimnis, und alles was Vim ihr erzählte, mit Jul.

Und so war es nur eine Frage der Zeit bis auch sie einmal in ihrem Zelt aufschlagen würde, vor allem nachdem Mia sie schon einmal besucht hatte.

Sie wohnte in einem der Zimmer, die den gebogenen Gang von der Zeltstadt der roten Linie mit dem Treppenhaus zur großen Halle und den Kammern führte säumten.

Und so, war es nach ein paar Tagen auch Zeit für einen Gegenbesuch und die beiden ließen sich nach der Arbeit bei den Unterständen der Schweine zusammen im Zelt in eben diese Campingstühle nieder, in denen Vim und Augi bei seinem Besuch gesessen hatten. Was allerdings auch nicht schwer war, den außer diesen beiden ausgeleierten Stühlen und dem klapprigen Tisch war ihre Zeltausstattung immer noch nicht weiter gewachsen. Sie hofften aber mittlerweile auf ein paar kleinere Kisten, um ihre Klamottenhaufen zumindest etwas aus dem Blick räumen zu können. Im Moment waren sie jeweils in einer Ecke ihres Zeltabteiles aufgestapelt, zwar ordentlich aber das empfanden sie auch nicht als finale Lösung.

Als Vim nach einer knappen Stunde, nachdem sich die beiden anderen getroffen hatten, von seiner Schicht bei den Feldern erschöpft in das Zelt zurückkehrte unterhielten sich die beiden gerade über einen ihrer Kollegen. Zumindest war es das was er noch mitbekommen hatte bevor die Gesprächslautstärke drastisch nach unten fiel und er mit erschrockenen Blicken bedacht wurde, als er herein trat.

Da er bis zur Essensausgabe in zwei Stunden nicht wirklich etwas vor hatte und sich nicht ein wenig hinlegen wollte, er kannte sich und seine Schwäche dafür einfach so einzupennen wenn er das tat nur gut genug um der Versuchung zu widerstehen, wartete er in einigem Abstand bis das heikle Thema hinter vorgehaltenen Händen abgeschlossen war und klinkte sich dann in die Runde ein. Nur musste er aus Stuhlmangel im Zelt stehend den Kreis erweitern, der bisher nur aus den beiden sitzenden Damen bestand.
Er reichte Jul seine Hand.

“Ich bin Vim, 347 als Nummer, und Zeltmitbewohner.” stellte er sich vor, als Jul seine hingestreckte Hand ergriff und sie schüttelte.

“Ich heiße Jul” erwiderte sie mit einem Lächeln auf den Lippen.”Meine Nummer ist 283, aber das kann ruhig vernachlässigt werden.”

Ihr Blick huschte zu Mia hinüber und mit einem unterdrückten Lachen wandte sie sich wieder Vim zu. “Ich hab schon viel von dir gehört.”

“Das war mir fast schon klar.” Auch Vim warf Mia einen vorwurfsvollen Blick zu, sie konnte sich ein Lachen auch nicht mehr verkneifen und verzog den Mund zu einem Grinsen. “Ich von dir aber auch” fügte er noch hinzu, auch wenn es nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber das musste sie ja gerade nicht wissen und ein paar Kleinigkeiten hatte er immerhin schon erfahren.

Seine Worte verfehlten die von ihm erhoffte Wirkung nicht.

In Juls Gesicht stieg die Röte nach oben und ihr Blick kehrte ebenfalls wieder auf Mia zurück, die nur abwehrend ihre Hände hob. Der ganzen Situation lag eine gewisse Komik bei und so prusteten sie alle drei gemeinsam los.

Es war das erste Mal das Vim ausgelassen lachte, bis ihm die Tränen kamen und sein bauch zu schmerzen begann, seit sie angekommen waren.

Es war ein wunderbares Gefühl.

 

Nachdem sie sich alle wieder ein bisschen beruhigt hatten, machten sie sich, zum einen Aufgrund der Sitzplatzsituation, zum anderen auch deshalb weil die beiden Frauen nicht mehr einfach nur herum sitzen wollten, auf den Weg zu einem kleinen Spaziergang zwischen den Zeltreihen hindurch quer durch die ganze rote Station.

Anfangs drehte sich das Gespräch, dass sie nun zu dritt führten darum, wie es ihnen nach ihrer Ankunft ergangen war und was die Götter ihnen gesagt hatten. Vim hatte dieses Thema einfach satt, und trotzdem begann jede erste Unterhaltung genau damit. Einfach nur darum was ihnen jemand gesagt hatte, die für ihn gar nichts übrig hatten.

Um sich nicht ganz so ausgeschlossen zu fühlen zog er das Gespräch langsam aber sicher immer weiter in Richtung der Felder und der Arbeit, er bewirkte das, in dem er diese aufgriff als Mia sie erwähnte und nicht mehr losließ, keine Abweichung im Inhalt mehr zuließ und so sicher in einen Hafen brachte, in dem auch er einen Teil beizutragen hatte.

Und er fand der Wechsel hin zu den Unterschieden zwischen der Arbeit bei den Schweinen und bei den Feldern zwischen den Pilzen brachte das Gespräch in einer Dreiecksdiskussion erst recht in Fahrt.
Jul fand, das es zwar bei den Tieren etwas mehr auf die Nase gab, im geschmacklichen Sinn natürlich, dafür war die Arbeit aber nicht so monoton und langweilig wie bei den Pilzboxen, einem Fakt dem Vim zustimmen musste. Er wiederum führte auf das die Pilze dafür nicht ihren eigenen Kopf hätten, also weniger Stress und Anstrengungen wenn es um die Ernte ging, was ihm zustimmung der Anderen einbrachte. Mia pflichtete bei und erwähnte auch noch das die Ernte der Schweine sich auch emotionaler auswirkte, da es ja immerhin lebende Tiere mit Gefühlen seien, die zur Schlachtbank geführt werden müssten. Aber das machten ja die Männer die dort arbeiteten, fügte Jul hinzu, und die komische Frau namens Lia, aber bei der sei eh schon alles verloren, nicht nur das es ihr an Gefühlen, wie Mitgefühl mit den Viechern, sondern auch an Gehirn zum denken mangelt.

Und so wurde ihre Unterhaltung lockerer und bewegte sich langsam auf Themen hinzu, die nicht mehr ganz so versteift waren, sondern auch persönliches betrafen, als Mia sich plötzlich verabschiedete.

“Tut mir leid aber ich muss den Herren dort hinten kurz etwas fragen.” sagte sie, als sie schon in die Zeltreihe eingebogen war die wieder auf den Hauptweg zurück führte. An Jul gewandt fügt sie hinzu, ”Das ist doch der Schichtleiter von Verschlag 2, oder? Den hab ich vorher als wir gegangen sind nicht mehr erwischt.” Als Jul nur nickte drehte Mia sich um und ging zügig zwischen den Zelten hindurch um den Mann einzuhohlen. Über die Schulter rief sie den anderen noch zu “Wartet einfach schnell auf mich, ja? Bin gleich wieder da. Dauert auch nicht lange.”

Und somit wurden Vim und Jul von ihr alleine am Rand des Gleisbettes, das sie die letzten Minuten entlang gewandert waren zurückgelassen.

“Naja, ob das nur so kurz dauert…” Jul hörte sich nicht gerade begeistert an.

“Warum das den?” fragte Vim.
Jul lachte auf.

“Also du kennst sie ja gut.” Sie grinste vorwurfsvoll.

“Deine Freundin…”

“Sie ist nicht meine Freundin!” unterbrach sie Vim, und schnell fügte er noch hinzu, “also nicht so eine Freundin. Wenn du das meinst.”
“Ja. Ja.” Juls breites Grinsen wurde nur noch weiter und Vim merkte wie die Hitze seinen Kopf und sein ganzes Gesicht erklomm. Er musste jetzt in etwa die Farbe einer nicht ganz reifen Tomate haben, und er wusste nicht einmal warum er diese Farbe annahm.

Jul ließ sich am Rand der Plattform mit dem Hintern auf den Boden sinken und schwang ihre Beine über die Kante in Richtung des Gleisbettes.

“Hock dich auch erstmal hierhin, bevor wir uns noch die Beine in den Bauch stehen bis sie wieder da ist.”

Sie wartete, bevor sie weitersprach bis auch Vim sich am Rand, links von ihr, niedergelassen hatte.

“Was ich meinte, ist, das deine rein freundschaftliche Freundin,” ihre Augen blitzten bei den Worten frech “sicher wieder ewig braucht und sich dann wieder verplappert. So gut kenne ich sie nun auch schon”
Vim dachte nach, so richtig lange hatte er mit ihr noch nie geredet. Meist nur ein kleines bisschen vor und nach der Schicht, aber das war mehr nur ein leichtes nebenher als eine wirkliche Unterhaltung gewesen.

“Um ehrlich zu sein, kann ich da gar nichts dazu sagen.” meinte er an Jul gewandt. “Die einzigen längeren Gespräche die ich hier unten seit meiner Ankunft geführt habe waren rein organisatorisch, oder mit Augi. Also Augi ist mein Kollege bei den Feldern, auch wenn er nicht immer da ist, aber das ist eine etwas längere Geschichte und die tut nicht wirklich was zur Sache, mein ich.”

“Egal, komm schon, schieß los.” entgegnete Jul, sie hatte ihren Oberkörper nach hinten gelehnt und stützte sich mit beiden Händen ab. “Wir werden schließlich noch ein bisschen Zeit haben bis Mia wieder zu uns stößt.”

“Hmm, na gut.” Vim überlegte wie er anfangen sollte.

“Ich hab ihn an meinem ersten Arbeitstag kennen gelernt, als mich Tori, die kennst du sicher auch, natürlich, bei den neuen Kollegen vorgestellt hat. Des Ganze ist dann so abgelaufen wie auch bei dir und Mia. Es war halt einfach die erste Person mit der ich dort so wirklich in Kontakt gekommen bin und mit dem ich mir auch den Arbeitsplatz teile. Da muss man sich schon verstehen.”

Jul nickte und sie ließ ihre Beine vor und zurück baumeln.

“Da hast du aber mal wirklich recht. Außerdem alleine ist doch alles langweiliger, findeste nicht?”

“Jup,” fuhr Vim fort, “auf jedenfall ist er stellenweise etwas aufgedreht und kann nicht wirklich lange dasselbe machen. Er wechselt dann alle paar Tage zwischen den einzelnen Tätigkeiten hin und her. Mal hier mal da, verstehst du. Er müsste eigentlich auch öfter bei euch, hinten bei den Schweinen sein.”

“Kann gut sein, aber kennen tu ich ihn nicht. Ich wüsste zumindest niemanden den du meinst.” erwiderte sie, während ihr Blick wieder auf die Gleise zurück geglitten war.

“Ja, auf jeden Fall meint er das es irgendwie mit seinem Kopf zu tun hat, oder die Götter ihm das auferlegt haben. Seine Aussagen selbst schwanken manchmal und auch er selbst blickt da anscheinend nicht so ganz durch. Und so kommt es dann dazu, das wir…”

Kräftige Hände packten Vim von hinten an den Schultern und stießen ihn hinunter ins Gleisbett.

Das Alles kam so überraschend, das Jul aufkreischte und Vim einfach nach vorne fiel, ohne rechtzeitig seine Hände nach oben ziehen zu können, was dazu führte dass er unfreiwillig das steinige Futter unter den Gleisen küsste und sich die Lippe aufriss.

Er setzte sich wieder auf und fuhr sich mit der Zunge über die wunde Lippe. Er schmeckte Blut, zwar nur wenig, aber der metallische geschmack war trotzdem da.

Hinter ihm rief eine Frauenstimme: “Ric!”

Das musste Jul sein, “Lass doch den Scheiß, was ist nur dein Problem?”

“Mein Problem?” eine raue Männerstimme antwortete, sehr wahrscheinlich der Mann, den Jul als Ric angesprochen hatte, vermutete Vim.
Er stand auf und drehte sich um, während die Stimme weiter kratzte.

“Mein Problem ist, dass du dich mit so einem Penner triffst.”

Der Mann, der nun auf ihn zeigte, hatte einen breiten Kopf, der nach oben von kurz geschorenem, schwarzen Haar abgeschlossen wurde. Eine Narbe zierte sein Gesicht vom rechten, böse funkelndem, braunem Auge bis zum Ohr.

“Du sagtes du bist bei einer Freundin,” fuhr er mit nur noch lautere Stimme fort, “Und dann sehe ich das hier?”

“Es sieht anders aus als…” begann Vim, von einem halben Meter tiefer als die anderen beiden, doch er wurde sofort wieder unterbrochen als Ric wieder zu ihm herum fuhr.

“Schnauze! Mit dir bin ich noch nicht fertig.”

“Schatz, hör mir zu…” began Jul aber Ric drückte sie einfach mit dem Arm wieder auf die Seite, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen.

“Wenn ich mit dir fertig bin wirst du dich nicht mehr wieder erkennen, das kann ich dir garantieren!”

Er machte einen Schritt auch ihn zu und sprang auch mit hinab in Richtung der Gleise.

Immerhin waren sie nun wieder fast auf Augenhöhe, was zur Folge hatte, das ein großer Teil der Überlegenheit die Ric ausgestrahlt hatte irgendwie verpuffte, fand Vim. Dennoch hatte er immer noch eine sehr gewalttätige Art, sich zu bewegen und zu reden.

“Du kommst hier her und kannst dich nicht mal ein paar Tage aus Angelegenheiten heraushalten, die dich nichts angehen?” spukte er Vim ins Gesicht. “Wie erbärmlich musst du gewinselt haben, das die Götter sich deines scheiß Hinterns angenommen haben um ihn uns hier unten anzutun?”

“Willst du dir nicht mal anhören was wir zu sagen haben?” fragte Vim und ging instinktiv einen Schritt weiter nach hinten.

“Ric!” rief Jul von oben her “Bitte…”

Ihr versagte die Stimme und sie ließ sich auf die Kniee sinken.

“Halt einfach dein Maul” Ric hohlte blitzschnell mit seiner Rechten aus und schlug zu, bevor Vim reagieren konnte.

“Was ist da los?” Mias Stimme war schon fast nur ein Kreischen.

Sie kam etwas zu spät.

 

Vim spürte wie der Schlag von seinem Kinn aus seinen Kopf erfasst und den stechenden Schmerz wie einen Dorn von unten in sein Gehirn trieb.

Er spürte nicht mehr wie er in sich zusammen sackte, den für ihn gab er nur noch Finsternis, die ihn umgab und ihn immer tiefer in die Bewusstlosigkeit zog.

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