Kapitel 8 – Caligo

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Als er die Augen aufschlug und sich sein Hirn langsam wieder an sein Bewusstsein heran tastete, brach eine Welle an Eindrücken auf ihn herein.

Der Raum in dem er sich befand war gleisen hell. Das Licht der dicken Leuchtstoffröhren an der Decke wurde durch die weiß verschalten Wände fast ungehindert in den Raum zurückgeworfen. Er musste blinzeln.

Er sog tief Luft durch den Mund ein und stellte sofort fest, das es einen bissigen Geschmack auf der Zunge hinterließ. Den typischen Geschmack und den Geruch den man als gesunde Person unweigerlich mit einem unangenehmen Besuch in einem Krankenhaus verband, ob man wollte oder nicht.

Nur die Geräusche blieben aus, bis auf das leise Summen des Stromes der durch die Lampen sauste, gedämpft durch zwei dicke mintgrüne Vorhänge die seinen Raum auf beiden Seiten begrenzten.

Die einzige Seite auf der sein Raum nicht geschlossen war gab den Blick auf eine Arbeitsfläche frei, auf der sich medizinisches Material in kleinen grauen Gitterboxen aufeinander stapelten. Ein kleiner glänzender Wasserhahn hing über ein tiefes Waschbecken, aus dem ein paar durchsichtige Schläuche quollen, wie ein Berg aus klaren Gedärmen.
Vim war schlecht. Einfach nur schlecht.

Und er hatte unbeschreibliche Kopfschmerzen mit einem Drücken am Kinn, wo ihn der Schlag getroffen hatte. Die Erinnerung daran kehrte nur langsam zurück.

Aber immerhin war sie wieder da und nicht so wie das letzte Mal als er in der Kammer ohne einen einzigen Anhaltspunkt aufgewacht war.

Den beißenden Geschmack immer noch auf der Zunge und mit trockenem Mund versuchte er etwas Speichel anzusammeln um sowohl Geschmack als auch Gefühl hinunterzuspühlen, denn so richtig bewegen konnte er sich noch nicht, eine undefinierte Schwere lag noch auf all seinen Gliedern, und außerdem hatte er nichts in seiner Reichweite gesehen, von dem er gefahrlos trinken konnte.

Als er einen witzigen Schluck beisammen hatte ließ er den Tropfen langsam über seine Zunge in Richtung Rachen kullern und verschluckte sich prompt.

Vim musste so stark husten, das es ihm nur noch mehr Tränen in die Augen drückte und er sich, getrieben von dem Drang, nicht an einem einzigen Tropfen seiner eigenen Spucke zu ersticken, in eine sitzende Position aufrichtete.

An seiner rechten Hand die er unbewusst vor seine Brust geführt merkte er das ziehen einer Kanüle, die unter der Haut auf seinem Handrücken nun etwas unter Zug stand.

Als er wieder klar und nicht mehr nur durch die Tränenflüssigkeit verschwommen sehen konnte, nahm er erst den jungen Mann in einem weißen Kittel war, der nun am Fußende seines Bettes stand und ihn mit großen, braunen Augen beobachtete. Seine dunkelblonden Haare lagen in alle Richtungen gestreckt aufeinander.

“Alles in Ordnung?” fragte er vorsichtig.

Vim musste noch einmal husten, allerdings um einiges leichter als davor und der Mann zuckte nur ganz leicht, aber nicht ohne die Augen auf Vim ruhen zu lassen.

Vim brachte ein Nicken zustande und der Mann entspannte sich etwas.
“Ist schon mal gut das Sie wieder wach sind.” stellte dieser fest und trat zu ihm ans Kopfende des Bettes mit vor. “Wir hatten schon Angst Sie bleiben etwas länger weg. Ich bin übrigens Dom und unterstütze unsere Ärztin hier, immer wenn sie nicht da ist.”

“Vim”, war alles was Vim als Antwort aus seinem immer noch gereiztem Hals hervor kratzen konnte bevor er sich wieder in das Bett zurückfallen ließ.

“Ich weiß, schließlich sind sie nicht aus dem Nichts hier aufgetaucht, sondern wurden ganz normal hergebracht und da gehört nun mal die Erfassung Ihrer Daten dazu.”

Er zog eine zusammengerollte Blutdruckmanschette aus einer seiner Kitteltaschen.

“Dann wollen wir doch mal sehen wie gut Sie das Ganze auch verkraftet haben. Wenn ich mir Sie so ansehe schauen sie zumindest wieder sehr gut aus, bis auf den lila Fleck am Kinn und Ihre Wunde auf der Stirn die wir genäht haben. Dürfte ich kurz?”

Er hob Vims linken Arm hoch und legte ihm die Manschette um den Oberarm, knapp über der Ellenbeuge.

“An was können Sie sich den noch erinnern? Also wenn ich fragen darf?” fuhr Dom fort als er den Klett zu drückte.

Vim lag da und versuchte sich so viel wie Möglich ins Gedächtnis zu rufen, während die Manschette aufgepumpt wurde und Dom ein Stethoskop mit darunter drückte.

Er erinnerte sich daran, dass Mia gegangen war und er und Jul sich gesetzt hatten, dass sie zusammen über Augi redeten und er dann vorwärts hinab auf die Gleise gestoßen wurde. Der Name seines Attentäters war ihm entfallen und auch so wusste er nur noch, wie der Schmerz durch ihn hindurch floss und es dunkel um ihn wurde.

All dies krächzte er Dom zu, während der Druck an seinem Oberarm langsam wieder verschwand.

“Und was nach dem Schlag passiert ist wissen sie gar nicht mehr?” Dom öffnete die Manschette und ließ sie dann wieder in seiner Kitteltasche, zusammen mit dem Stethoskop verschwinden.

Vim nickte wieder nur, das Reden war ihm mit wunden Hals zu anstrengend.

“Die Verletzung an ihrer Stirn haben Sie sich laut Aussage der beiden Damen die Sie hergebracht haben dabei zugezogen wie sie auf dem Gleisbett zusammengeklappt sind. Bumm. Einfach mit Kopf auf die harte Schiene. Da können Sie froh sein, das es nicht viel mehr geworden ist als die breite Platzwunde.”

Er deutete in Richtung von Vims Kopf.

“Da wird vlt eine Narbe bleiben, aber das sehen wir erst in ein paar Tagen wie gut Sie sich da schlagen.”

Er kehrte zum Fußende zurück, nahm dort einen kleinen Block aus einer Halterung, die sich Vims Blickfeld entzog und begann sich ein paar Notizen zu machen, Vim war sich sicher das er die Vitalparameter notierte.
Nachdem der Block wieder hinter der Kante des Bettes verschwunden war sagte Dom, “Ich werd dann mal bescheid geben das du wach bist.”

Damit drehte er sich zur seite und verschwand um den Vorhang herum.

Keine Minute später kam Jul um die Kurve und hastete fast schon ans Kopfende hinauf.

“Es tut mir so leid, was Ric getan hatte.” Sie hatte Tränen in den Augen.

Und Vim dachte sich in dem Moment nur, dass sein Attentäter wieder einen Namen hatte, Ric.

“Ich weiß manchmal einfach nicht, was mit ihm los ist. Er ist manchmal … einfach komisch.” Jul drehte sich mit ihrem Hintern zum Bett und ließ sich auf die Kante fallen, wobei ein kleiner Stoß durch die ganze Matratze ging.

“Er hat einfach Tage, an dem ihn nichts mehr wirklich zu interessieren scheint und er einfach blind wird vor Neid und Eifersucht. Da erkennt man ihn nicht mehr wieder…

Aber wenig später ist er dann wieder da, so wie ich ihn kenne und lieben gelernt hab. Genau mein Ric.” fuhr sie fort und zog hörbar die Nase hoch. “Es tut mir wirklich so leid was er getan hat… Er wollte das sicher nicht so und er war nur nicht Herr der Lage. Unter anderen Umständen hättest du ihn sicher nett gefunden, dann ist er ein ganz Anderer, ich kann es einfach nicht erklären was..”
Vim hatte ihr zwar auch so nicht ganz zugehört aber nun war, unterbrochen durch das hastige Zurückschlagen eines der Vorhänge, die ganze Aufmerksamkeit dahin. Auch Jul unterbrachte ihre Trauerrede und wandt sich von Vim ab und dem Geräusch hinter ihr zu.
Da stand Mia, sie wirkte etwas aus der Puste und ihre Brust hob und senkte sich so schnell, wie der hinter ihrem Rücken hin und her schwingende, schwere Vorhang, den sie auf die Seite gerissen hatte.
“Schön das du wieder da bist.” war das erste, was auch sie hervorbrachte und sie lächelte dabei ein bisschen.

“Aber ganz wichtig,” fuhr sie fort und hob ihre Hände, “es ist jemand Neues gekommen. Also mit der Kammer.”

“Wer denn?” fragte Jul, während sie noch einmal die Nase hochzog und mit dem Handrücken ihrer linken über ihre feuchten Wangen fuhr.

“Ein junger Mann, er macht aber den Eindruck als sei er noch nicht einmal volljährig.”

Vim konnte es kaum erwarten das er endlich die Krankenstation verlassen konnte. Er wollte auch mit dem neuen reden, der ihnen nachgefolgt und nun der “jüngste” im Livestock war. Vielleicht konnte er noch etwas zu den Göttern beitragen, oder ihm auf die Sprünge helfen.

Damit war das Thema dann auch abgeschlossen, denn Mia konnte auch nicht mehr über ihn erzählen, da er anscheinend immer noch nicht von Red zu ihnen ins Zelt zurückgekommen war.

Zusammen redeten sie noch ein Wenig über das was am Tag davor mit Vim passiert war und Jul kam wieder nicht davon weg sich immer wieder für ihren Freund zu entschuldigen und zu beteuern das er nicht immer so sei und nur seine speziellen Tage habe.
Ihr Gespräch wurde dann nur durch die Ärztin, die sich nochmal als Mel vorstellte, unterbrochen und die beiden Frauen von ihr mit den Händen auf dem Rücken aus dem Zimmer geschoben. Immerhin brauche Vim noch Ruhe, auch wenn er wieder voll da sei.

Aber je ruhiger desto schneller sei er auch wieder dort draußen.

Und so döste Vim wieder in aller Ruhe und alleine vor sich hin, bis Mel den Vorhang zu seiner Linken aufzog und den Blick weiter in den Raum freigab.

Dort in einem Bett, das parallel zu dem seinem stand, lag ein etwas älterer Herr, das gesicht von lichten, grauen Haaren eingefasst, wobei sie oben auf dem Kopf schon eher einer Fast-Glatze ähnelten.

Die Haut war faltig und spannte sich über das knochige Gesicht, umgab die eingefallenen Augenpartie mit den geschlossenen Augen und ließ die Wangenknochen wie Wurzeln unter einer Asphaltschicht hervorragen. Der Rest des seines Körpers war unter der mintgrünen Decke versteckt, bis auf das linke Bein, das in einer Schiene ausgestreckt offen da lag. Der Herr schlief noch eine Weile und erst als sich seine Lieder öffneten sprach Vim ihn an. Sie erzählen sich wie sie auf die Station gekommen waren und irgendwie passte es zwischen ihnen.

Das verdrängte die Einsamkeit die die Station ausstrahlte und übermalte das zittrige Rauschen der Deckenlampen.

Das war der Tag an dem Vim Pa kennen lernte.

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